Einige Orientierungspunkte zur „Palästinafrage”
(„Il comunista” ; Nr. 179 ; September–November 2023)
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Einleitung
Dieser Artikel war Teil einer Kritik der falschen Positionen, zu denen die Partei im Herbst 1982 in Bezug auf die „palästinensische Frage” gelangt war – was wir als „Zündschnur” der allgemeinen Krise in der Partei zu jener Zeit bezeichneten – und der allgemeinen Bilanz dieser Krise. Vor allem zwei grundlegende Fehler wurden kritisiert : 1) das „panarabische Nationalgefühl” als revolutionäre Triebkraft in der gesamten Region des Nahen Ostens zu betrachten, sofern es nur von den proletarischen Massen getragen würde... als ob die Proletarier in Ermangelung einer bürgerlichen Revolution, die zur Entstehung eines großen arabischen Heimatlandes während der Periode der „nationalen Befreiungskämpfe” geführt hätte, die „panarabische Bewegung” nutzen könnten, um ihre Zersplitterung in verschiedene Nationalitäten zu überwinden ; als ob die Proletarier den „nationalen” Kampf automatisch zum allgemeineren Klassenkampf erheben könnten ; 2) die prinzipielle Bindung des proletarischen Kampfes für seine eigenen Klasseninteressen an den nationalen Kampf, wobei diese Klasseninteressen nur auf das Terrain des unmittelbaren Kampfes und der – in diesem Fall bewaffneten – Verteidigung der unmittelbaren Interessen begrenzt sind ; als ob das Fehlen einer unabhängigen politischen Klassenorganisation, d.h. einer revolutionären kommunistischen Partei – welche als einzige in der Lage ist, dem Proletariat die politische und historische Klassenorientierung zu geben (die Orientierung, die Anweisungen für den Kampf auf dem unmittelbaren Terrain beinhaltet, was jedoch nicht bedeutet, dass dies ihr automatisches Ergebnis ist) – einfach durch den proletarischen Kampf innerhalb des nationalen, wenn auch bewaffneten, Kampfes des palästinensischen Volkes, vereint mit den anderen arabischen Völkern, gelöst werden könnte.
Diese grundlegenden Irrtümer waren nicht nur taktische Fehler, sondern das unvermeidliche Ergebnis einer falschen Einschätzung der historischen Phase, der wirkenden sozialen Kräfte und der Beziehungen zwischen ihnen. Und als Marxisten wissen wir, dass die Bewertung einer Situation zuvorderst eine theoretische, dann eine politische und damit taktische Frage ist ; eine Situation, die nicht von bestimmten Umständen abhängt, nicht lokal oder an ein bestimmtes Gebiet gebunden ist, sondern international ist.
Was die meisten Partei-Aktivisten jener Zeit völlig aus den Augen verloren hatten, war, dass die allgemeine Situation sich nicht von konterrevolutionär zu revolutionär ändern wird, wenn nicht das Proletariat sowohl der kapitalistisch unterentwickelten Länder, als auch vor allem der fortgeschritteneren kapitalistischen Länder auf den Plan tritt ; und solange dieses Proletariat keine fest erworbenen Erfahrungem im Klassenkampf, im antibürgerlichen Kampf schlechthin, sowohl auf dem unmittelbaren als auch auf dem politischen Terrain sammelt, d.h. in Gegenwart der Klassenpartei – der revolutionären kommunistischen Partei –, die die objektive Möglichkeit hatte, ihren Einfluss auf die fortgeschrittensten Schichten des Proletariats selbst auszuüben.
Der bewaffnete Kampf eines unterdrückten Volkes gegen eine Kolonialmacht, gegen ein imperialistisches Land oder ein Bündnis von Ländern, die es aufgrund ihrer Vormachtstellung bis aufs Äußerste unterdrücken und ausbeuten, mag zäh und langwierig sein, aber er wird niemals den Weg für den revolutionären Kampf des Proletariats eröffnen, wenn das Proletariat sich nicht von den Illusionen der Politik der klassenübergreifenden Zusammenarbeit, der Demokratie und der nationalen Illusionen befreit ; wenn das Proletariat nicht unabhängig sowohl gegen die reaktionären und herrschenden Mächte gekämpft hat, als auch auch gegen diese Illusionen und die sozialen und politischen Kräfte, die diese Illusionen am Leben erhalten und verbreiten.
Es ist unbestreitbar, dass die „nationale Frage” besonders komplex ist und seit dem Ende des 19. Jahrhunderts und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts immer war ; man braucht nur die Artikel von Marx und Engels zur irischen Frage oder zu Indien, Russland und China zu lesen, oder die Artikel von Lenin über die „Selbstbestimmung der Völker” und die Thesen der Kommunistischen Internationale zur nationalen und kolonialen Frage. Wie die „Gewerkschaftsfrage” wird auch die „nationale Frage” erst dann eine endgültige Lösung finden, wenn der Kapitalismus besiegt ist.
Aber bis dahin können revolutionäre Kommunisten, Marxisten, diese Fragen nicht folgendermaßen beantworten : Heute, da der Imperialismus bereits über wirtschaftliche, finanzielle, politische und organisatorische Macht verfügt und die Niederlage der proletarischen und kommunistischen Revolution in den 20er Jahren ausnutzt, hat er sowohl die Gewerkschaftsorganisationen als auch die nationalen Befreiungsbewegungen korrumpiert und die Proletarier eines Aktionsfeldes beraubt, das im letzten Jahrhundert noch eine Grundlage für ihren emanzipatorischen Kampf hätte bieten können. Es gibt diejenigen, die sagen, dass die gewerkschaftliche Organisierung für den Müllhaufen bereit ist und durch eine rein politische Aktion und Organisation ersetzt werden muss ; es gibt auch diejenigen, die sagen, dass die „nationale” Frage keine Frage mehr ist, die das Proletariat betrifft, und dass es sich nur noch um die Vorbereitung der echten und unzweideutigen internationalen proletarischen Revolution kümmern muss.
Es handelt sich dabei nicht um politische Positionen, geschweige denn um unbestreitbare theoretische Grundlagen ; es sind bloße und leere Erklärungen, die keine Antworten auf die realen Probleme geben, die tatsächlich alle Proletarier betreffen, sowohl in den entwickelten als auch in den unterentwickelten Ländern. Mit der Entwicklung der kapitalistischen Ausbeutung in allen Teilen der Welt, also auch in den Ländern, die einst an der „Peripherie” des Imperialismus lagen, stellt sich die „nationale” Frage natürlich nicht mehr wie im 19. und 20. Jahrhundert, weil die bürgerlichen Schichten, die sich in den Ländern dieser Peripherie gebildet haben, entweder zu einer Kompradorenbourgeoisie geworden sind, die im Sold einer fremden Macht steht, oder zu einer Bourgeoisie mit einem starken Unabhängigkeitsdrang, der sie in einer bestimmten historischen Periode den national-revolutionären Charakter annehmen ließ (wie z.B. in China, Algerien, Kongo, Kuba, Vietnam usw.), an deren Seite das klassenorganisierte und unabhängige Proletariat eine Rolle zu spielen hatte, wie es in Russland 1917-1922 der Fall war.
Aber diese historische Periode, die nach dem Zweiten Imperialistischen Weltkrieg wieder auflebte, endete Mitte der 1970er Jahre mit der Unabhängigkeit Angolas und Mosambiks, während das Proletariat der fortgeschrittenen Länder bewies, dass es nicht die Kraft hatte, die Schwächung der kolonialen und imperialistischen Mächte auszunutzen, um gegen die herrschenden Klassen der fortgeschrittenen Länder in die Offensive zu gehen ; Ebenso wenig konnte das Proletariat der Kolonien, in Ermangelung der revolutionären kommunistischen Partei und ihres Einflusses auf das Proletariat, die Kraft aufbringen, die neu entstandene Bourgeoisie anzugreifen, nachdem das Proletariat der Bourgeoisie bei ihrer nationalen Revolution geholfen hatte. Dies ist eine Stärke, die das Proletariat auch heute noch nicht hat und es wird noch einige Zeit benötigen, bevor es in den imperialistischen Metropolen wieder zum wirklichen Klassenfeind werden kann.
Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass die nationale Unterdrückung nicht abgenommen, sondern zugenommen hat, und zwar nicht nur auf Seiten der imperialistischen Mächte, sondern auch auf Seiten der jüngeren Bourgeoisien, die in Afrika, im Nahen Osten und in Asien an die Macht gekommen sind. Wenn ein Volk von anderen Völkern unterdrückt wird, bedeutet dies, dass die „nationale” Frage ein Hebel bleibt, den die bürgerlichen Schichten der unterdrückten Bevölkerung weiterhin nutzen und nutzen werden, um die Proletarier auf ihre Seite zu ziehen, und zwar mit Hilfe des Nationalismus, des Mythos des „unabhängigen Staates”, des Mythos der Demokratie. Und dank dieses Hebels können die nationalen Bourgeoisien der vom Imperialismus unterdrückten Länder leicht die gesamte Bevölkerung der unterdrückenden Länder, einschließlich der Proletarier, als ihre Unterdrücker hinstellen. Und es besteht kein Zweifel, dass die Proletarier des unterdrückten Landes die Proletarier des unterdrückenden Landes als Komplizen der ausländischen Bourgeoisie betrachten, die sie unterdrückt. Um zu beweisen, dass es keine solche Komplizenschaft gibt, müssen die Proletarier des unterdrückenden Landes gegen ihre eigene Bourgeoisie kämpfen, indem sie fordern, dass die unterdrückte Bevölkerung, welche die dortigen Proletarier miteinschließt, die Freiheit der „Selbstbestimmung” haben soll.
Lenin behauptet, dass diese Taktik die einzige ist, die es den Proletariern des unterdrückenden Landes erlaubt, den Kampf der Proletarier des unterdrückten Landes in ihrem Kampf gegen die ausländische Bourgeoisie zu unterstützen, vorausgesetzt, dass die Proletarier des unterdrückten Landes selbst in völliger Unabhängigkeit von den anderen gesellschaftlichen Kräften (Bourgeoisie, städtisches und ländliches Kleinbürgertum, Lumpenproletariat) organisiert sind und gleichzeitig den Kampf gegen ihre eigene nationale Bourgeoisie führen, einen Kampf, in dem sie sich mit den Proletariern der unterdrückenden Länder für die internationale proletarische Revolution vereinigen können, immer unter der Voraussetzung, dass diese Proletarier die Klassenzusammenarbeit mit ihrer eigenen Bourgeoisie entschieden aufkündigen. Zu fordern, dass die Proletarier der unterdrückten Länder – besonders in der allgemeinen Situation, die seit dem Zweiten Weltkrieg entstanden ist, als der proletarische Kampf in den fortgeschrittenen kapitalistischen Ländern sehr stark zurückgegangen ist – diejenigen Aufgaben übernehmen und allein übernehmen sollen, die aber das Proletariat der ganzen Welt und in erster Linie das Proletariat der unterdrückenden Länder betreffen, bedeutet, sich von den Aufgaben abzuwenden, die letztlich nur die Proletarier der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder übernehmen können und müssen.
Die Lehren aus der großen Revolution in Russland im Oktober 1917, an deren Zusammenstellung unsere Partei ab 1945 während der gesamten Periode der Wiederherstellung der (marxistischen) Lehre und der Reorganisation der Klassenpartei entscheidend beigetragen hat, zeigen, dass die proletarische und kommunistische Revolution – bei Vorhandensein einer organisierten, unabhängigen und einflussreichen Partei wie der bolschewistischen Partei Lenins – unter bestimmten welthistorischen Umständen auch in einem kapitalistisch rückständigen Land ausbrechen und siegreich sein kann, aber wenn der entscheidende revolutionäre Beitrag der Proletarier der kapitalistisch fortgeschrittenen Länder für ihre Revolution fehlt, ist der errungene Sieg, wie damals in Russland, früher oder später zu einer erdrückenden Isolation bestimmt, die zur Niederlage und zur Konterrevolution nicht nur in dem Land, in dem die Revolution gesiegt hat, sondern auch in der Welt führen kann.
Ungeachtet des großen Kampfgeistes und der Großzügigkeit der russischen proletarischen Massen, die bereit waren, ungeheure Opfer auf sich zu nehmen, die zur Ausbreitung der proletarischen Revolution in ganz Europa – und damit in der ganzen Welt – beitragen sollten, und ungeachtet der Unnachgiebigkeit der gesunden Kräfte der bolschewistischen Partei und ihrer Entschlossenheit, die proletarische Diktatur noch zwanzig (Lenin) oder fünfzig Jahre (Trotzki) als Stütze des Kurses der internationalen Revolution an der Macht zu halten, erleichterte der nicht realisierte revolutionäre Beitrag der europäischen proletarischen Parteien, die zu jener Zeit das Proletariat beeinflussten und anführten, maßgeblich die Rolle der sozialdemokratischen, klassenübergreifenden Kollaborations- und sozialen Bewahrungskräfte bei der Vergiftung und schließlich der Entartung der proletarischen Parteien und Bewegungen.
Der Opportunismus und damit die politische und organisatorische Degeneration der proletarischen Parteien und der proletarischen Bewegung, die von der Partei beeinflusst wird, leiten ihren Erfolg von derselben materiellen Grundlage ab, auf der die politische Macht der Bourgeoisie errichtet wurde und erhalten wird ; sie stellen ein weiteres Instrument der sozialen Erhaltung und, wenn nötig, der Repression gegen das Proletariat und den revolutionären Kampf dar. Die Bourgeoisie wirft niemals das Handtuch, auch nicht in den für ihre Macht gefährlichsten Situationen ; im Gegenteil, in diesen Situationen verzehnfacht die Bourgeoisie, wie Trotzki es ausdrückte, ihre Kräfte, gibt niemals auf, nicht so sehr wegen einer Art ideologischem Fanatismus, der sie glauben lässt, sie sei unbesiegbar, sondern vielmehr wegen der gewaltigen Kraft ihrer Wirtschaft, die in zwei Jahrhunderten die Welt umgestaltet hat, in der die alten vorkapitalistischen Gesellschaften Jahrtausende lang überlebt hatten.
Deshalb unterscheidet sich die proletarische Revolution von den Revolutionen früherer revolutionärer Klassen dadurch, dass sie nicht auf einer Produktionsweise beruht, die sich innerhalb der alten Gesellschaft entwickelt hat und dann die neuen sozialen Kräfte zur Eroberung der politischen Macht drängte, damit sich die neue Produktionsweise voll entfalten konnte ; sie ist im Wesentlichen eine politische Revolution, bei der das Proletariat – d.h. die Klasse der Produzenten – die bestehende politische Macht zerschlagen muss, um die gesellschaftliche Wirtschaft und damit die bestehenden sozialen Beziehungen von oben nach unten umzugestalten. Mit dem Kapitalismus hat die klassengespaltene Gesellschaft die maximal mögliche historische Entwicklung durchlaufen, sowohl wirtschaftlich als auch politisch und sozial, und hat dialektisch die Grundlagen für ihren Untergang gelegt ; Der Kapitalismus wird jedoch nicht durch eine Art Erschöpfung verschwinden ; er wird als Ergebnis der von der Klassenpartei geführten proletarischen Revolution verschwinden und die Führung dieser Revolution dauert so lange an, bis die politische Klassendiktatur ihre Aufgabe auch bei der wirtschaftlichen Umgestaltung der Gesellschaft im internationalen Maßstab voll erfüllt hat.
Dazu brauchen wir nicht nur ein Proletariat, das auf internationaler Ebene den Grad seiner Einheit wiedererlangt und übertrifft, den es in den 1920er Jahren sowohl in den fortgeschrittenen als auch in den rückständigeren Ländern erreicht hat, sondern auch eine Klassenpartei, die theoretisch, politisch und auf der Ebene des realen Kampfes gestärkt wird und die zumindest auf die fortgeschrittensten Schichten des Proletariats international entscheidenden Einfluss gewinnt. Ein utopisches Ziel? Nein, der historische Beweis ist die bolschewistische Partei unter der Führung von Lenin und die Konstituierung der Dritten Internationale mit ihren Thesen über die Rolle der kommunistischen Partei, über ihre Tätigkeit in allen Bereichen, vom politisch-taktischen über den ökonomisch-gewerkschaftlichen bis hin zum agrarischen und national-kolonialen Bereich. Die Geschichte der Menschheit schreitet nicht in kleinen Schritten, sondern in großen Sprüngen voran.
„Marx sah – wie es in einem Text der Partei von 1951 treffend heißt – nicht einen Aufstieg und dann einen Niedergang des Kapitalismus vor, sondern die gleichzeitige und dialektische Ausdehnung der Masse der vom Kapitalismus beherrschten Produktivkräfte, ihre unbegrenzte Akkumulation und Konzentration und gleichzeitig die antagonistische Reaktion, die von einer der beherrschten Kräfte, nämlich der proletarischen Klasse, ausgeht. Das allgemeine Produktions- und Wirtschaftspotential steigt immer weiter an, bis das Gleichgewicht durchbrochen wird und eine revolutionäre explosive Phase einsetzt, in der die Produktivkräfte in einer sehr kurzen, überstürzten Periode, in der die alten Produktionsformen zusammenbrechen, zurückfallen, um sich eine neue Ordnung zu geben und wieder einen mächtigeren Aufstieg zu nehmen” (1).
Unter den vielen Texten, die wir zur „Palästina-Frage” geschrieben haben, veröffentlichen wir jetzt den folgenden Artikel (veröffentlicht 1989 in „il comunista”, Nr. 16, und in „le prolétaire”, Nr. 401), der die grundlegenden Positionen zu dieser Frage zusammenfasst, die für uns immer noch gültig sind.
1)Vgl. Theorie und Aktion in der marxistischen Auffassung (Bericht zur Versammlung in Rom vom 1. April 1951), 1. Die Umkehrung der Praxis in der marxistischen Theorie, in der Broschüre „Was heisst es, den Marxismus zu verteidigen?” (Texte der Internationalen Kommunistischen Partei), 1975, Anhang, Tabelle II, S. 76
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Einige Orientierungspunkte zur „Palästinafrage”
1) Verurteilung der Rolle des palästinensischen Nationalismus als Ablenkung vom Klassenkampf und als Mittel gegen den Klassenkampf
Seit zwanzig Jahren ist dieser Nationalismus ein politischer „Leichnam” und seit zwanzig Jahren ist dieser Leichnam „noch auf den Beinen”, um die Proletarier zu befallen. Weit davon entfernt, seine Wiederbelebung in einer „linken” Version zu wünschen, die nur eine Rückkehr seines toten Radikalismus wäre, sehen wir einen positiven Aspekt in der gegenwärtigen moderaten Entwicklung aller seiner Strömungen, einschließlich der extremsten, und wir nehmen die de facto – unserer Meinung nach heilsame – endgültige Kapitulation der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) zur Kenntnis und ermutigen die Proletarier, daraus das zu nehmen, was die Entwicklung der Dinge selbst ihnen zuwirft : Mit dem Ende jeder Lösung der Rassen- und Nationalitätenfrage ist der einzige Weg der Erlösung euer Weg, d. h. der Weg des unnachgiebigen Klassenkampfes, bis alle Staaten in der Region zerstört sind und die proletarische Diktatur errichtet ist, wird Palästina nicht gewinnen ; die proletarische Revolution wird siegen!
2)
Verurteilung des reaktionären Charakters des palästinensischen MinistaatsIn der Tat können die Folgen einer solchen „Lösung” für die Entwicklung des Klassenkampfes nur negativ sein, zum einen, weil eine solche Lösung dazu führen würde, den fortschrittlichsten und kämpferischsten Teil des Proletariats in der gesamten Region in ein echtes Ghetto zu sperren und so die anderen Proletarier so weit wie möglich von der palästinensischen „Ansteckung” zu isolieren, zum anderen, weil es in jedem Fall eine Schwächung des Drucks, den die verarmten palästinensischen Massen auf Israel ausüben, mit sich bringen würde und folglich eine zeitliche Verschiebung des Moments, in dem die Front der klassenübergreifenden Zusammenarbeit auch dort zerbricht, was es den israelischen Arbeitern schließlich erlauben würde, ihren palästinensischen Klassenbrüdern zu helfen.
Der einzige mögliche positive Effekt der Schaffung eines solchen Ministaates, nämlich die „Entlarvung” der palästinensischen Bourgeoisie als feindliche Klasse in den Augen der ausgebeuteten Massen, ist keineswegs automatisch gegeben. Im Gegenteil, wenn es keine politische Kraft – die Klassenpartei – gibt, die den Nationalismus sofort verurteilt und ihm sofort eine Klassenlinie entgegensetzt – was unter den gegenwärtigen Umständen leider nicht der Fall ist –, ist es unvermeidlich, dass die Enttäuschung, die unweigerlich auf die Errichtung des so genannten „unabhängigen Staates” folgen würde, nicht in einen Impuls für die Proletarier umgesetzt wird, um sich mit neuer Energie gegen die Bourgeoisie im eigenen Land zu erheben, sondern den Vorläufer eines Zustands der Lethargie für einen Zeitraum darstellt, dessen Dauer nicht absehbar ist. Was wir schon jetzt sagen können, ist, dass das sich abzeichnende Staatsgefängnis nicht in der Lage sein wird, alle palästinensischen Massen in der Diaspora aufzunehmen. Die palästinensischen Proletarier können nicht alle ghettoisiert werden. Und das bedeutet, dass die Staaten in der Region, die sich Palästina (und die Palästinenser) einverleibt haben, nicht in der Lage sein werden, sie zu verdauen, auch nicht mit dem reaktionären Mittel des Ministaates.
3) Verurteilung der ultra-pazifistischen Taktik der PLO während der Intifada, aber auch davor, als bewusste Organisierung des Massakers an den palästinensischen Proletariern.
Mit anderen Worten : Die PLO lässt die israelischen Schlächter die „Drecksarbeit” des Massakers und der moralischen und wirtschaftlichen Ausbeutung der enteigneten Massen in den besetzten Gebieten machen. Wenn der ersehnte Ministaat erreicht wird, dann erst, wenn das palästinensische Proletariat von seinen israelischen Gefährten ausreichend misshandelt und erschöpft wurde. Deshalb wird der Weg zum Ziel des „unabhängigen Staates” von der PLO in Zeitlupe zurückgelegt. Auch der Dreck dieser programmierten „Normalisierung” der mittellosen palästinensischen Massen muss ohne Zögern und Zaudern verurteilt werden.
4)
Bekräftigung der Tatsache, dass die proletarische Revolution in der gesamten Region der einzige Weg ist, auch die palästinensische nationale Frage zu lösen.Das bedeutet, dass nur die proletarische Diktatur in der Lage sein wird, den Palästinensern das Recht zu sichern, sich in einem unabhängigen Staat zu organisieren, wenn sie dies noch wünschen. Was keineswegs ausschließt, sondern vielmehr impliziert, dass die Partei sich bemühen wird, die entgegengesetzte Perspektive zu fördern und zu unterstützen, nämlich den freien Zusammenschluss von Proletariern verschiedener Nationalitäten auch im Nahen Osten in einem möglichst großen proletarischen Staat.
5) Bekräftigung der Notwendigkeit der Bildung der politischen Klassenpartei auf der Grundlage des Programms, der Thesen und der Lehren der internationalen kommunistischen Bewegung, die in den 1920er Jahren auf den ersten drei Kongressen der Kommunistischen Internationale in Übereinstimmung mit dem unbeugsamen Marxismus festgelegt wurden.
Eine Bildung, die nur durch einen offenen Bruch mit den falschen emanzipatorischen Heilmitteln des demokratischen, pluralistischen, independistischen und pazifistischen Charakters zustande kommen kann ; und das nur durch die Verbindung der Funken des Klassenbewusstseins, die der Kampf des palästinensischen Volkes hervorgerufen hat und weiterhin hervorruft, mit dem felsenfesten kommunistischen Programm und der marxistischen Doktrin, die von der kommunistischen Linken in ihren Klassenkämpfen gegen den Stalinismus und alle opportunistischen Varianten sozialdemokratischer, volkstümelnder und nationaler Prägung zurückerobert und wiederhergestellt wurden ; und nur durch das Anknüpfen an die historische Kontinuität der kämpferischen Tätigkeit, die von der kommunistischen Linken, insbesondere in Italien, im Zuge der Wiederherstellung des höchsten politischen Organs der modernen revolutionären Klasse, d.h. der kommunistischen und internationalen Partei, verteidigt wurde.
Gleichzeitig ist es die Bekräftigung der Tatsache, dass der Kampf gegen die nationale Unterdrückung der palästinensischen Proletarier einen entgegengesetzten Weg zum nationalistischen Weg einschlägt, wie radikal er auch sein mag. Das bedeutet also, dass dieser Kampf auf dem Terrain des allgemeineren Klassenkampfes angesiedelt und geführt werden muss : die Übertragung des antibürgerlichen Kampfes vom Terrain der „Eroberung eines Heimatlandes” auf das Terrain des antibürgerlichen Kampfes gegen jegliche Diskriminierung von Proletariern verschiedener Nationalitäten und Religionen auf der Ebene der Löhne, der Gesetze und Normen, der gewerkschaftlichen und politischen Rechte.
6) Die Bekräftigung der Tatsache, dass die „natürlichen” Klassenbrüder des palästinensischen Proletariats, die arabischen Proletarier der gesamten Region, niemals den Weg zur klassenkämpferischen Solidarität und zu ihrer eigenen Emanzipation vom Joch der blutrünstigen und repressiven nationalen Bourgeoisien finden werden (wie eine Reihe von Ereignissen gezeigt hat – von den so genannten tunesischen Brotunruhen 1983–1984 bis zu den Streiks in Ägypten, den Arbeiteragitationen in Marokko bis zum jüngsten proletarischen Aufstand in Algerien 1988), es sei denn, sie brechen endgültig die ideologischen, praktischen und organisatorischen Bande mit „ihren” Bourgeoisien und Kleinbürgern, die bisher den „Panarabismus”, den religiösen Fetischismus und die falschen „nationalen Wege zum Sozialismus” gegen die Proletarier und die verarmten besitzlosen Schichten eingesetzt haben und weiterhin einsetzen, wie es so lächerlich repräsentiert wird von Verfechtern des doppelten Spiels wie Gaddafi oder mörderischen demokratischen Präsidenten wie Chadli Bendjedid (algerischer Präsident von 1979-1992, Anm. d. Red. ).
Der „arabische nationale Faktor”, der für eine bestimmte historische Periode – vom Zusammenbruch des türkischen Reiches bis zum Zweiten Weltkrieg – eines der einigenden Elemente von Völkern hätte sein können, die sich eher aus Nomaden und Händlern als aus sesshaften und bäuerlichen Völkern zusammensetzten, hatte bereits alle seine auch nur geringen „potenziellen Möglichkeiten” für den historischen Fortschritt in diesem riesigen Gebiet, das Nordafrika vom Atlantik ostwärts bis zum Nahen Osten (und einschließlich desselben) umfasst, vollständig ausgeschöpft. Diese „potentiellen Möglichkeiten” wurden im Rahmen einer Reihe von Faktoren erschöpft, darunter die Art der kapitalistischen Entwicklung in der Region – zurückgeblieben in der industriellen und landwirtschaftlichen Struktur, sehr modern in der Mineralien-, Gas- und Erdölförderung und sehr modern im Hinblick auf das Bankkapital – ; sowie die Aufteilung des Gebiets in Nationalstaaten, die eher durch die Grenzen bestimmt wird, die sich aus den Besetzungen der kolonialen und imperialistischen Mächte ergeben, als durch die natürliche Verteilung der einheimischen Bevölkerung, die zudem überwiegend nomadisch ist ; die Ausprägung der bürgerlichen Klassen (eher „ausverkauft” als industriell geprägt), die das Ergebnis der widersprüchlichen Entwicklung der Produktionsweise und der Formen des Kapitalismus sowie des Fortbestehens feudaler, theokratischer und stammesgeschichtlicher Überbleibsel ist, die nie vollständig ausgerottet wurden. Die Bildung des Proletariats, das kaum in Fabriken und Industriekomplexen konzentriert ist, sondern über weite und wenig fruchtbare, aber für die natürlichen Ressourcen wichtige Gebiete verstreut ist, spiegelt den Prozess der nationalen Entwicklung in diesem Gebiet wider, das völlig vom Weltmarkt und den Rohstoffpreisen abhängt, die nur die großen kapitalistischen Länder gestalten können ; ein Gebiet, das für Instabilität im Inneren und in den Beziehungen zwischen den Staaten anfällig ist.
Wie schwach die bürgerlichen und proletarischen Klassen in der gesamten Region auch sein mögen, der historische Sprung zum Kapitalismus ist bereits vollzogen, und was die – wenn auch instabile – Realität der gegenwärtigen arabischen bürgerlichen Staaten bietet, ist die Realität der Klasseninteressen der nationalen Bourgeoisien, ungeachtet des inzwischen völlig machtlosen „arabischen Faktors”, wobei jede von ihnen darauf bedacht ist, von „ihren” arabischen Proletariern ebenso zu profitieren wie von den Proletariern aus Korea, Indien, Pakistan oder Afrika, die in die reichen Ölförderländer einwandern.
7) Bekräftigung der Tatsache, dass es unmöglich sein wird, zu einer Einheitsfront des Kampfes zu gelangen, die die jüdischen Proletarier Israels und die Proletarier Palästinas vereint, solange erstere nicht die Fesseln gesprengt haben, die sie an die Maschinerie ihrer Bourgeoisie binden ; und dass der notwendige Schritt für die israelischen Proletarier, mit ihrer Bourgeoisie zu brechen, darin besteht, dass sie jegliche Unterstützung für die nationale Unterdrückung aufgeben, die letztere weiterhin an den Palästinensern verübt. Es gibt kein größeres Unglück für ein Volk, als wenn es ein anderes Volk unterjocht, sagte Marx und bezog sich dabei auf die englische Unterdrückung von Irland. Um aus dieser aus Sicht des Klassenkampfes unglücklichen Situation herauszukommen, müssen sich die israelisch-jüdischen Proletarier auf ein zweifaches Terrain des Kampfes begeben : das Terrain des Kampfes gegen die Diskriminierung der arabischen und palästinensischen Proletarier am Arbeitsplatz und im gesellschaftlichen Leben (und damit gegen das jüdische Sektierertum des jüdischen Staates) und das Terrain des Kampfes zur Verteidigung des Rechts aller Palästinenser auf die Bildung eines wirklich unabhängigen Staates auf dem Gebiet Palästinas.
8) Tatsache ist, dass die notwendige Solidarität der Kommunisten des Westens und der Proletarier des Westens mit den palästinensischen Proletariern keineswegs bedeutet – wie die „Linken” im Stil der Autonomia Operaia, Trotzkisten oder andere glauben – lauter als andere „es lebe der Kampf für die nationale Unabhängigkeit Palästinas” zu schreien, sondern bedeutet, sich für die Wiederaufnahme des Klassenkampfes hier zu Hause und für die Bildung einer kompakten, starken, internationalen kommunistischen Partei einzusetzen.
In der Tat ist dies die einzige Möglichkeit, den palästinensischen Proletariern eine brüderliche Hand zu reichen, denn die Hilfe, die wir ihnen geben können, besteht entweder darin, ihrem Kampf einen sichtbaren Stützpunkt in der Realität des antibürgerlichen Kampfes zu bieten, auf den wir uns in einer klassistischen, internationalistischen und revolutionären Perspektive beziehen können, oder sie ist reine Demagogie.
Verstehen wir also, dass das palästinensische Proletariat – und mit ihm die Proletarier der ganzen Region, die sich in den palästinensischen nationalen Kampf einbringen – unweigerlich Gefangene der Methoden, Ziele und Organisationsmittel sein werden, die ausschließlich den nationalen bürgerlichen Interessen dienen, bis die soziale Bewegung der Proletarier in den imperialistischen Ländern – in unseren Ländern des Westens – ihr Haupt wieder erhebt und „ihrer” nationalen Bourgeoisie in verschiedenen Ländern endlich auf dem Terrain des Klassenkampfes gegenübertritt.
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